Windenergie ist Bestandteil eines CO2-neutralen Energiesystems der Zukunft. Im Gegensatz zu fossilen Energiequellen und Kernkraft sind die Nebenwirkungen der Windenergie ungenügend verstanden. Ein Übersichtsartikel im Fachjournal Sustainability dokumentiert den Stand des Wissens und formuliert offene Forschungsfragen.
6. Dezember 2022
Am 5. Dezember 2022 erschien im Fachjournal Sustainability der Übersichtsartikel „Side Effects of Wind Energy: Review of Three Topics—Status and Open Questions” (Nebenwirkungen der Windenergie: Drei Themen im Überblick – Stand des Wissens und offene Fragen). Die Autoren Prof. Dr. André D. Thess (Universität Stuttgart und Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR) und Dr. Philipp Lengsfeld (re:look climate gGmbH) diskutieren in ihrem Aufsatz den Stand des Wissens zum Einfluss von Windenergieanlagen auf Insekten, auf Strömungs-, Temperatur- und Niederschlagsverteilungen hinter Windparks sowie die Wirkungen von Schall und Infraschall auf die menschliche Gesundheit. Die Arbeit wurde im Rahmen eines Peer-Review-Prozesses von drei unabhängigen Fachleuten anonym begutachtet und ist im Open-Access-Modus hier frei verfügbar.
Die Nebenwirkungen von Kohle- und Kernkraftwerken in Form von Atemwegserkrankungen beziehungsweise Strahlenschäden sind wissenschaftlich umfassend dokumentiert und gelten als gut verstanden. Die Effekte werden zuweilen als „soziale Kosten“ in Euro pro Kilowattstunde umgerechnet. In der öffentlichen Kommunikation werden sie oft zum Strompreis addiert, um die „tatsächlichen Kosten“ von Kohle- und Atomstrom zu veranschaulichen. Demgegenüber existieren in der wissenschaftlichen Fachliteratur kaum Studien, die die sozialen Kosten von Sonnen- und Windenergie erforschen. Die Arbeit von Thess und Lengsfeld erörtert drei zentrale ungewollte Nebenwirkungen von Windkraft: Die Schädigung von Fluginsekten, den Einfluss auf lokales und regional Wetter- und Klimageschehen und schließlich die Frage der Dimension der Wirkungen von Schallemissionen, insbesondere Infraschall auf die Menschen im Umfeld von Windkraftanlagen.
Im Mittelpunkt des ersten inhaltlichen Teils der Arbeit steht eine Studie, die am DLR durchgeführt und veröffentlicht worden war. Zentral ist eine Abschätzung über die Dimension von Schädigung von Fluginsekten durch Windkraftanlagen. Die mögliche Dimension dieser unbestreitbaren ungewollten Nebenwirkung wird diskutiert und Forschungsarbeiten zur Klärung dieses Sachverhalts vorgeschlagen.
Im zweiten Teil der Arbeit geben die Autoren einen Überblick über Messkampagnen und Computersimulationen, in denen die Änderung der Wind-, Temperatur- und Niederschlagsverteilungen hinter Windparks analysiert werden. Der Stand der Literatur offenbart einen weltweiten Mangel an koordinierten Messkampagnen, anhand derer sich die These von der vermeintlichen Austrocknung von Böden in Regionen mit hoher Windkraftdichte bestätigen oder widerlegen ließe.
Im dritten Teil der Arbeit werden die Charakteristiken der Schallemission von Windkraftrotoren beschrieben und aktuelle Veröffentlichungen zu Schallwirkungen auf Menschen zusammengefasst. Der Stand der Fachliteratur legt den Schluss nahe, dass eine ganzheitliche Erforschung der akustischen Wirkungen über die Frequenzanalyse von Emissionen und Hörschwellen hinausgehen muss.
Die Übersichtsarbeit bildet die wissenschaftliche Grundlage für künftige Forschungsprogramme zum Verständnis der Nebenwirkungen der Windenergie. Diese können zur Versachlichung der öffentlichen Diskussion um den Ausbau der Windenergie beitragen und Strategien zur Minimierung ihrer sozialen Kosten ermöglichen.
Autorenkontakte
Prof. Dr. André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Direktor des Instituts für Technische Thermodynamik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, E-Mail: andre.thess@igte.uni-stuttgart.de
Dr. Philipp Lengsfeld ist wissenschaftlicher Direktor der gemeinnützigen re:look climate gGmbH, Institut für Klima- und Umweltwissenschaft Berlin E-Mail: lengsfeld@relook-climate.de
Comments