Philipp Lengsfeld und Hans-Peter Stricker, re:look climate gGmbH
Der zweite zentrale Punkt bei der Nutzung von Klimastreifen für die aktuelle Klimadiskussion ist die Frage, welche Daten überhaupt gezeigt werden. In der populären Variante – und dies sehen Sie auch auf der Webseite „#showyourstripes“ des Originators Dr. Ed Hawkins – werden praktisch ausschließlich Temperaturkurven der Neuzeit präsentiert. Dies wird im Bereich FAQs („häufig gestellte Fragen“) so erklärt: Die Intention ist die Darstellung von Temperaturmessungen der letzten 100+ Jahre. Einige Datensätze gehen bis 1850, aber meistens werden Daten ab 1900 gezeigt.
Es gibt aber keinen wissenschaftlichen oder inhaltlichen Grund, die Darstellung der Temperaturverläufe auf die letzte 100-180 Jahre zu beschränken. Denn es gibt Temperaturdaten, die deutlich weiter in die Vergangenheit gehen und aus klimawissenschaftlicher Sicht sind solche Daten natürlich von hohem Interesse. Denn durch Vergleich mit Daten aus der Vergangenheit kann man sich z.B. der wichtigen Frage nähern, welche Auffälligkeiten die Temperaturverläufe der letzten 150 Jahre im Vergleich zu Daten aus der Vergangenheit zeigen, z.B. steilere, also schnellere Änderungen (Anstieg oder Abfall) oder vorher nie erreichte Werte.
Es gibt hier nur eine inhaltliche Hürde, die aber aus unserer Sicht kein prinzipielles Problem darstellt: Die ältere Datensätze sind nicht von zuverlässigen Temperaturmessstationen, sondern beziehen sich in der Regel auf sogenannte Temperaturrekonstruktionen. Zusätzlich enden Teile dieser Rekonstruktionen einige Jahre oder Jahrzehnte vor der heutigen Zeit.
Aber auch das ist kein prinzipielles Problem: In den Klimastreifen kann man durchaus zwei Datensätze darstellen, es ist aber in der vereinfachten Darstellung nicht möglich, Überlappungen zu zeigen (dies ist in regulären Darstellungen völlig problemlos möglich). Man müsste an den Klimastreifen deshalb den Punkt markieren, an dem der eine Datensatz aufhört und der andere anfängt.
Im Folgenden sehen Sie Datensätze, die deutlich über den von Ed Hawkins favorisierten Bereich hinausgehen. Zunächst eine Temperaturrekonstruktion der Arbeitsgruppe um Ulf Büntgen mit der Temperatur der nördlichen Hemisphäre der letzten 2000 Jahre.
Büntgen et al., 0-2010, Referenztemperatur: 8.6°C (reine Rekonstruktion)
Die Rekonstruktion zeigt warme und kalte Perioden innerhalb der letzten 2000 Jahre – die Neuzeit in der Rekonstruktion wirkt unauffällig. Etwas verändert sieht das Bild aus, wenn man die Rekonstruktion mit aktuellen Temperaturmessungen ergänzt. Dies haben die Autoren in der Originalpublikation auch gemacht.
Büntgen et al., 0-2018, Referenztemperatur: 8.6°C (Rekonstruktion plus aktuelle Messdaten)
Klimatologisch interessant für die aktuelle Diskussion ist sicherlich noch das klimatische Verhalten im Zeitraum der letzten 10.000 Jahre – dieser Zeitraum ist sicherlich besonders geeignet um Hinweise auf die Stärke natürlicher Klimafaktoren zu bekommen.
Wir stellen hier einen Datensatz aus dem ersten IPCC-Bericht von 1990 dar. Zunächst in der Originaldarstellung, danach von uns ergänzt mit aktuellen Temperaturmessungen.
IPCC-Bericht 1990, 9000BC-1978, Referenztemperatur: 8.6°C (Rekonstruktionsdaten)
IPCC-Bericht 1990, 9000BC-2018, Referenztemperatur: 8.6°C (Rekonstruktion plus aktuelle Messungen)
Zum Abschluss noch einer der rekonstruierten Temparturdatensätze, die am weitesten in die Vergangenheit gehen, Quelle ist wieder der IPCC-Bericht von 1990. Wieder zunächst in der Originaldarstellung, danach von uns ergänzt mit aktuellen Temperaturmessungen.
IPCC-Bericht 1990, 1.000.000BC-1990, Referenztemperatur: 8.6°C (Rekonstruktion)
IPCC-Bericht 1990, 1.000.000BC-2018, Referenztemperatur: 8.6°C (Rekonstruktion plus aktuelle Messungen)
re:look climate-Diskussion
Gerade die Erweiterung des Zeitbereichs auf klimawissenschaftlich wichtige Zeiträume, wie 2000 oder 10.000 Jahre zeigt die Suggestivität und damit die Schwächen der Hawkins-„warming stripes“. In den reinen rekonstruierten Datensätze, sowohl 2000 Jahre, als auch 10.000 Jahre sieht man deutliche klimatische Schwankungen. Und die Neuzeit 1800-1950 sieht mehr oder weniger unauffällig aus. Nur durch die Ergänzung der modernen Temperaturmessungen erkennt man überhaupt etwas, was einen an die Erwärmungsdiskussion erinnert. Es ist aber wissenschaftlich alles andere als eindeutig, ob und wie genau man Rekonstruktionsdaten und Messdaten aneinanderhängen kann oder darf.
Und natürlich gibt es zu den Rekonstruktionen viele kritische Anmerkungen, es gibt auch auffällige Unterschiede zwischen verschiedenen Arbeitsgruppe, aber auch die vermeintlich viel objektiveren Thermometermessungen sind nicht ohne Fehlerquellen – ein ganz großes Problem ist z.B. die rasante Urbanisierung, die viele Temperaturmessstationen in die Nähe von sich ausbreitenden urbanen Wärmeinseln rückt. Jetzt ist der urbane Wärmeinseleffekt natürlich auch eine wichtige Erkenntnis, aber hat vermutlich mit den fundamentalen Klimafaktoren noch nicht viel zu tun.
re:look climate-Fazit
Die von Ed Hawkins global populär gemachten „warming stripes“ sind ein suggestives und wirkmächtiges Werkzeug. Auf Grund der massiven Komplexitätsreduktion müssen sie aber sehr vorsichtig angewendet werden.
Ist eine Darstellung mit Zeitangaben und Werteskala selbstverständlich, weshalb wird auch die Variante „Bars“ und nicht die typischerweise verwendete Variante „Streifen“ empfehlen, so darf auch hier nicht vergessen werden, dass der visuelle Effekt und damit die „Botschaft“ sehr stark an der gewählten Referenztemperatur und dem gewählten Farbspektrum hängt.
Für die eigentliche Diskussion um die mögliche Bedeutung von natürlichen vs. menschgemachten Klimafaktoren sollte aber der Temperaturverlauf anderer Zeiträume unbedingt auch dargestellt werden. Wir halten dabei die Zeiträume von 2000 Jahren und 10.000 Jahren für sinnvoll. Hier gibt es auch Daten (sogenannte Temperaturrekonstruktionen), die für sich genommen aber ein völlig anderes Bild suggerieren, als das der „warming stripes“.
Auffällig wird die Neuzeit hier nur bei ergänzender Darstellung von aktuellen Temperaturdaten und auch da ist der Effekt drastisch anders als bei den reinen Neuzeit-„warming stripes“.
Open content Nutzung:
Die hier von der re:look climate präsentierten Inhalten sind gemäß open content-Regeln frei verfügbar, müssen aber bei Nutzung klar auf die re:look climate referenziert werden.
Klimastreifenvisualisierungstool:
Nach formloser, aber begründeter Beantragung (mail an Stricker@relook-climate.de) kann der Zugang zu dem von uns entwickelten Tool gewährt werden für wissenschaftliche oder wissenschaftspublizistische Nutzung (kein Zugang nur für Laieninteressierte).
Webseite von Dr. Ed Hawkins
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